Gustav Siewerth

Die christliche Erbsündelehre
Entwickelt aufgrund der Theologie des heiligen Thomas von Aquin



1964, 89 Seiten, kartoniert
Euro 4.50; SFr. 9.-

Christ heute V/4

ISBN 978 3 89411 221 9


Diese Schrift ist beides: hohe spekulative Leistung des Denkers und schlichtes Bekenntnis des Menschen. Sie wagt sich an ein Problem, das die Theologen seit Jahrtausenden quält, mehr als sie es oft zugeben, über dem sich seit Augustinus und erst recht seit Luther die Lager scheiden, das gerade auch in den heutigen Diskussionen und Fragestellungen überall unterirdisch fortschwelt, ohne daß es bisher gelang, die gegensätzlichen Aspekte des allgegenwärtigen, alles angreifenden und durchwaltenden Problems miteinander zu versöhnen, die relative Berechtigung der scheinbar widersprüchlichen Meinungen – von Augustin und Thomas, von Luther und Tridentinum, von christlichem und nicht-christlichem Humanismus – in einer glaubhaften Einheitschau zu erweisen. In der Tat sind die Schwierigkeiten einer spekulativen Durchdringung und innern Erhellung wohl bei keinem Dogma so groß wie bei diesem; es verwundert deshalb nicht, wenn dieser Lehrsatz in der Geistesgeschichte – man denke etwa an Pascal – oft als das Mysterium schlechthin, unerklärlich, furchtbar, beinah absurd und deshalb den reinen blinden Glauben herausfordernd, hingestellt worden ist. Anlaß genug, einen Denker wie Siewerth zu reizen, zumal, wie gesagt, dieser Lehrsatz sich durch alle Lebensgebiete hin auswirkt und überall unmittelbar, je nach der Auslegung, die er erfährt, höchst praktische Folgen zeitigt.
Man möchte wünschen, daß diese unbekannte Schrift des großen, viel zu früh abberufenen Denkers mit ihrer überlegenen Einheitsschau sowohl die katholischen wie die protestantischen Theologen anrege und zu einem tieferen eigenem wie gegenseitigem Verständnis bringe. Ihre ökumenische Tragweite könnte groß sein. Aber sie schlägt den Bogen noch weiter; sie kann dem, der dem Christentum fernsteht, einen Begriff des Christlichen vermitteln, dem Christen aber klarmachen, wie in guten Treuen das Christliche abgelehnt werden kann und wiesehr der Christ und der Nichtchrist in einer gemeinsamen Schickung immerdar solidarisch bleiben.

Aus dem Vorwort, S. 5-7